Entscheidungshilfe: Rx oder scale?


Die meisten, die in einer Box trainieren kennen es: das Timecap. Verhasst, weil es uns dran hindert, das Workout fertig zu machen - geliebt, weil es uns aus dem Leiden erlöst....je nach WOD. Aber bei sehr vielen WODs haben wir, wenn wir erst durch das Timecap gestoppt werden, selbst etwas falsch gemacht: wir haben uns überschätzt!


Timecaps sollten für uns Trainierende eine von mehreren Orientierunghilfen sein: in welcher Zeit sollte das Ziel des WODs erreicht sein? Setzt das Workout eher auf einen kurzen und intensiven Stimulus als Metcon und hat einen Sprintcharakter oder ist es ein Kraftworkout? Wenn Ihr das Gewicht bei „Grace" (30 Clean & Jerks mit 135 lb = 61,5 kg auf Zeit) so wählt, dass Ihr mit 30 Singles und jeweils einer Minute Pause durchgeht - also etwa 30 Minuten braucht, dann wurde das eigentliche Ziel des Workouts deutlich verfehlt. Habt Ihr aber das Gewicht bspw. so reduziert, dass Ihr die ersten 10 Reps am Stück hinbekommt und erst ganz am Ende Singles mit kurzer Pause macht - und dass in einer Zeit unter 5 Minuten - dann habt Ihr schon ganz schön was erreicht. Denn Ihr habt mehr Leistung (Energieumsatz pro Zeitspanne) erbracht, als wenn Ihr es in diesem Fall Rx gemacht hättet. Zum Thema Leistungsoutput und angepasstem Skalieren gibt es einen hilfreichen Artikel im CF Journal. Des Weiteren bearbeitet Art Claas van der Heide in seinem Workoutblog dieses Thema ebenfalls mit einem - wie ich finde - auf den Punkt gebrachten Beitrag.


Wir sollten immer im Kopf haben, dass sich die WODs in Rx-Version primär an die sehr Fortgeschrittenen, die Elite unter uns richten. Da gibt es dann noch ein paar wenige, die die Rx-Version zusätzlich erschweren müssen, damit es nicht zu langweilig wird - die wenigen, die sich auch „Double Grace" bei den CrossFit Games stellen. Für den großen Rest von uns heißt es aber, sich damit abzufinden, dass es keinen Sinn macht, auf Teufel komm raus jedes WOD Rx zu machen.

Für mich als Durchschnittsathlet heißt das: manche WODs kann ich Rx, bei vielen muss ich anpassen. Und ich muss das wohl überlegt tun:

  • Was ist das Ziel des WOD? Wird eine in der Rx-Version durchgezogene „Fran" mit über 20 min der ursprünglichen Intention des Workouts gerecht - oder wäre es vielleicht besser gewesen zu skalieren und eine Zeit deutlich unter 10 Minuten zu haben?
  • Wo sind meine Schwächen? Brauche ich bei Cindy nach 10 Minuten bei den Pull-ups so viele Pausen, das ich weniger als 10 Runden schaffe? Wäre es hier vielleicht sinnvoller gewesen, die Anzahl der Pull-Ups meiner Leistungsfähigkeit anzupassen?
  • Kann ich über das gesamte Workout eine halbwegs saubere Technik aufrechterhalten? Oder wird es für mich in der dritten Runde unmöglich, bei einem WOD mit Front Squats als Bestandteil, immer noch einen geraden Rücken, den Fersenstand und den vollen Bewegungsumfang abzuliefern? Hätte ich dann nicht vielleicht lieber das Gewicht runtersetzen sollen?

Womit klar wird, wir müssen uns hierfür immer wieder hinterfragen. In einer Box kann uns unser Trainer dabei helfen. Er kann uns Entscheidungshilfen und Tipps geben, eine davon ist ein Timecap. Es kann aber auch eine konkrete Ansage sein: „Wählt das Gewicht so, dass Ihr in der ersten Runde ohne Abzusetzen durch die Front Squats kommt!" Aber - als Grundvoraussetzung müssen wir selbst lernen, unsere Stärken und Schwächen halbwegs einzuschätzen. Und wenn die Besten in unserer Box bei einem WOD Zeiten zwischen 10 und 12 Minuten hinlegen, dann ist das für uns ein wichtiger Anhaltspunkt: wie schaffe ich es das WOD so zu skalieren, dass ich nachher bei plus minus 12 Minuten rauskomme?


Auch wenn man versucht, sich bei jedem WOD die Frage zu stellen „heute Rx oder Scale?", in vielen Fällen sind keine Entscheidungshilfen vorhanden und man ist auf sich selbst gestellt. Daraus folgt ein kurzer Check, den ich bei fehlender Entscheidungshilfe und fehlenden Zusatzinformationen ablaufen lasse:

  1. Kann ich den angestrebten Stimulus des Workouts einschätzen? (Sprint, heavy lifting, etc.)
  2. Könnte ich den angestrebten Stimulus mit der Rx-Vorgabe erreichen? Oder müsste ich, um bspw. die Geschwindigkeit zu halten, mit Gewicht und Wiederholungszahl runter?
  3. Wie geht es mir heute? Habe ich Handicaps, die mich einschränken? (Trainingsbelastung vom Vortag, leichte Verletzungen, Alltagsbelastungen etc.)